Auf einem Baumstumpf ist ein alter Traktor etwa anderthalb Meter hoch schwebend angebracht.
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Zeit, auf ‚Blog‘ umzustellen

Liebe Freundinnen und Freunde, werte Kunstsammelnde! Als ich Anfang 2019 diesen Shop ins Leben rief, war nicht abzusehen, wie sich das ‚Ding‘ einmal entwickeln würde. Natürlich stand primär auf der Agenda, meinen eigenen kleinen Marktplatz einzurichten, auf dem ich meine Kunstwerke zum Verkauf und Versand anbiete. Mit echten Merkmalen eines echten Online-Shops, Zahlfunktion, sichere Verbindung, organisierter Produktion und Versand. Was prinzipiell ganz gut gelungen ist.

Am Anfang stand etwa ein Monat Arbeit in den Eingeweiden des Servers, alles neu, alles sicher, alles schön einrichten, Grundverständnis entwickeln, Shopsoftware installieren, ein paar Module einkaufen, die zur Rechtssicherheit beitragen. Kurzum ein wunderbares Experiment.

Dann kam die Kunst. Ich hatte mir vorgenommen, aus meiner umfangreichen Datenbank, die viele tausend, teils faszinierende Motive enthält, jeden Tag ein Bild in den Shop zu stellen, nicht ahnend, dass das ganz schön unübersichtlich wird für die Shoppenden. Dabei stand, wie so oft, der Künstler mit seinem sturen Konzept dem Geschäftsmann im Weg.

Irgendwann wurde mir bewusst, dass der Shop ebenso eine Art Werkverzeichnis ist, wie er eine Wertfeststellung für die eigene Kunst bedeutet. Alle Kunstwerke erhalten endlich einen Preis. Schnell war der Standardpreis für ein kleines Kunstwerk im Format 12×12 Zentimeter gefunden und etabliert und schnell war klar, billiger wird es nicht mehr. Die Maßnahme hat mir geholfen, meinen eigenen Wert als Mensch – ja, richtig gelesen, als Mensch, zu ermitteln. Getreu den Gepflogenheiten wie der Menschenwert allgemein bei den Menschen rund umher ermittelt wird: über Arbeit, Besitz, Zeit, Leistung, Hochglanz, Innovation, Ideen. Manchmal auch durch geschickt angewendete Luftnummern, die einen Menschen in einem Blendfeuerwerk durchaus erhöhen können.

Vor einem etwa ein drittel des Bilds einnehmenden Himmel mit dunklen Wolken und Strommast ist auf einer Stacheldraht bewehrten Mauer ein Graffiti mit zwei liegenden, schlummernden Menschen gesprayt. Ein Landarbeiter und Landarbeiterin.
Das womöglich längste Graffiti der Welt befindet sich auf der kilometerlangen Wand der Raffinerie Gibraltar San Roque nahe Punte Mayorga. Viele bunte Motive von vielen verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern versuchen, dem Öllager einen bunten Touch zu geben. Hier zwei liegende – offenbar Landarbeitende – vor Stacheldraht und dystopischer Szene. Aufgenommen wurde das Motiv während der Radtour nach Gibraltar im Jahr 2016.

Ich weiß nicht, wievielen Mitmenschen ich im Laufe der Jahrzehnte begegnet bin, die genauso handeln, wenn sie andere Menschen, die sie kaum kennen, bewerten; die einen ihnen nicht sehr bekannten Menschen an Hand seines Berufes, seiner Arbeit, seiner Äußerlichkeiten beurteilen und ihn schnell in die eine oder andere Schublade zu stecken. Als Künstler kommt man in der Regel dabei sehr schlecht weg. Es klebt an einem dieses zweifelhafte Flair des Schlendrians, des sich das Leben (vermeintlich auf Kosten des einen beurteilenden Menschen) schön machen, keinerlei Leistung für die Gemeinschaft zu erbringen, nichts Anständiges zu leisten. Und so weiter. Aber was heißt das, etwas Anständiges zu leisten? Ich habe schon viele ehrbare Berufe ausgeübt. Vom Angestellten im Öffentlichen Dienst bis hin zum Fabrikarbeiter war alles dabei. Meist war ich sogar glücklich bei diesen Tätigkeiten, sprich, ich hätte sie womöglich auch für immer ausüben können. Aber machte mich – nur so als Beispiel – die Zeit im ‚Amt ohne Wiederkehr‘ zu einem fleißigeren Menschen, nur weil ich nach Klasse soundso besoldet wurde? Oft saß ich stundenlang an meinem Schreibtisch und wusste nicht, was tun, weil die Abläufe im Amt so unregelmäßig waren, dass ich in Vollbeschäftigung arbeitslos wurde und wegen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit mein Wochenpensum absitzen musste. Die Kollegin überbrückte ihren Leerlauf mit Patience auf dem uralten Windows-PC. Ich glaube nicht, dass man sie deshalb als faule Beamtin betiteln kann. Es gab einfach nichts zu tun und das System verlangte, die Stunden abzusitzen. Es gibt oft nichts zu tun in gefügten Systemen und auch sehr oft viel zu viel. Das lässt sich, der Behäbigkeit der Maschine geschuldet nun einmal nicht verhindern.

Als Künstler und Shopbetreiber ist das ganz anders. In Leerlauf-Zeiten gönne ich mir die Pausen, die ich benötige, um in den Stoßzeiten auch einmal nachts durcharbeiten zu können.

Wir wissen nie, wie schön oder wie hart des anderen Leben ist. Das wurde mir klar, als ich vor ein paar Wochen durch die Fußgängerzone meiner Heimatstadt flanierte und über die Bettler nachdachte. Man könnte sagen, es ist ihr Beruf, zu betteln. Sie leben von dem, was andere ihnen geben. Gemeinhin sieht man die Bettelnden als den Bodensatz der Gesellschaft an, die durchs Sieb Gerasselten, Verlorenen. Viel weniger wert als man selbst, wenn man z.B. einen tollen IT-Job hat und irgendwo Firmen-Software verkauft oder schult. Man bildet sich dann allzu gerne ein, dass das, was man tut einen echten Mehrwert hat für die Gesellschaft und man selbst wird Teil dieses Mehrwerts, trägt bei, wird gebraucht. Ohne weit genug zu denken, dass das System der Wertigkeit eines Menschen und mit ihm der Selbstwert eine Schlange ist, die sich selbst verschlingt, eine rückkoppelnde Wertekette ohne eigentliches Fundament. Wenn man nur ein Glied aus der Sinnfindungskette entfernt, stürzt alles in sich zusammen. Und wir alle werden zu Bettlern und wir alle werden aufeinander angewiesen sein.

Hart traf mich der Kommentar eines Bekannten, dem ich aus einer Art Gefühlsduseligkeit und weil ich es konnte, ein Kunstwerk schenkte (es war so eine Situation, in der ich einige Kunstwerke an bessere Bekannte verschenkte und ihn nicht als einzigen unbeschenkt aus der Situation entlassen wollte). Alle bedankten sich herzlich und hatten Freude an den Preziosen. Er kommentierte den Akt des Schenkens mit den Worten: „Naja, vielleicht wirst Du ja doch noch mal etwas wert.“

Was will ich damit sagen? Es ist nicht wie es scheint. Der Wert des Menschen und der Wert seiner Arbeit ist nur ein Konstrukt, das sich wie ein halbdurchsichtiger Schleier um das eigentliche Skelett windet. Hauchdünn, zart angreifbar. Am Ende bleibt nichts von Dir übrig, egal ob du reich warst oder arm, glücklich oder unglücklich.

Wir alle sind Bilder, die wir uns voneinander machen und die aufeinander Treffen. Keines der Bilder ist real, vermute ich.

Ich rede wirr, verliere ein bisschen den Faden, aber das macht nichts. Es ist ein erster Beitrag in dem Shop-Blog, der fortan mit den neuesten Beiträgen zuerst den Irgendlink-Shop begleitet. Die Produkte, die Ihr hier findet, sind zweitrangig und erstklassig zugleich. Ihr müsst sie nicht kaufen. Ich könnte Euch einreden, wozu Ihr sie benötigt oder was sie Euch an Rendite bringen wie so ein Marktgenie. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Ich bin der Künstler. Im Grunde der, der –  womöglich in  den Augen des einen oder anderen unter Euch – nutzlos dahin faulenzt und der Gesellschaft nicht das Geringste nützt. Ein Bettler im  schillernden Gewand. Rien d’autre que un Eurocloche, nichts als ein Europenner.

Das Blog ist hiermit eröffnet.

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